Quartalsbericht

Hallo Leute,

der heutige Beitrag wird etwas anders als sonst.

Ich bin jetzt seit drei Monaten in Tansania und eine meiner Aufgaben als Freiwillige im weltwärts Dienst ist es, Quartalsberichte zu schreiben. Da jetzt ein viertel meines Dienstes vorüber ist, ist es also Zeit für meinen ersten Bericht. Der Bericht dient unter anderem zur Selbstreflektion und auch zur Rückmeldung für meine Programmleitung in Deutschland, wie mein Jahr so verläuft.

Eine andere Aufgabe, die ich als weltwärts Freiwillige habe, ist es so viel wie möglich von meinen Erfahrungen in diesem Jahr an die Öffentlichkeit zu bringen. Daher habe ich mich dazu entschieden, meinen Quartalsbericht hier auf meinem Blog zu veröffentlichen, weil er sehr ehrlich meine Gefühle und Eindrücke vom letzten viertel Jahr zusammenfasst. Ich dachte anfangs, es sei vielleicht etwas zu persönlich ihn zu posten, aber ich denke, dass auch das dazugehört, wenn man wirklich ehrlich über sein Jahr erzählen möchte.

Bevor nun mein Bericht kommt, sind hier erst mal die inhaltlichen Vorgaben die mir gestellt wurden, wobei auch gerne gesehen wird, dass darüber hinaus gegangen wird (was ich auch an der ein oder anderen Stelle getan habe).

 

  1. Was hat dir dein Freiwilligendienst bisher persönlich gebracht?
  2. Wie würdest du dein eigenes Auftreten im Gastland sowie deinen Umgang mit kulturellen Unterschieden beschreiben?
  3. Wie ordnest du deine (bisherigen) Erfahrungen im (entwicklungs-)politischen Kontext ein? Welche Aspekte von (Entwicklungs-)Politik beschäftigen dich derzeit und warum?
  4. Was nimmst du dir für den weiteren Verlauf deines Freiwilligendienstes vor? (4. Bericht: Für die Zeit nach dem Freiwilligendienst als Schlussfolgerung daraus?)
  5. Wie würdest du deine Rolle in der Einsatzstelle beschreiben? Welche Herausforderungen gibt es und wie gehst du damit um? Welche Ziele verfolgst du bei der Arbeit in deiner Einsatzstelle?

So nachdem ihr jetzt ungefähr Bescheid wisst, worum es gehen soll, folgt nun mein Bericht:

 

  1. Quartalsbericht

Die letzten drei Monate hier in Dar es Salaam haben mich auf jeden Fall verändert. 1000 Mal habe ich über einen Abbruch nachgedacht. Noch nie in meinem Leben habe ich meine Familie und Freunde so sehr vermisst, wie in den letzten Wochen. Noch nie habe ich mich in einer Kultur so fremd und verloren gefühlt wie hier. Mein Kulturschock war riesig. Ständig war ich krank, weil mein Körper sich nicht so schnell an die neue Umgebung gewöhnt hat. Aber durch das alles habe ich unglaublich viel an Durchhaltevermögen gewonnen. Und das hat sich auch definitiv gelohnt. Ich vermisse mein zu Hause in Deutschland immer noch sehr, aber langsam wird Dar es Salaam auch immer mehr zu einem zweiten zu Hause für mich. Ich fühle mich in dieser großen Stadt jeden Tag etwas weniger fremd. Ich fange an, die Stadt zu mögen und die Kultur zu schätzen.

Dadurch, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben ohne Eltern wohne, bin ich auch um einiges selbstständiger geworden. Ich muss Miet-, Strom- und Wasserkosten zahlen und muss monatliche Abrechnungen machen.

Eine andere wichtige Sache, die ich gelernt habe, die einem im ersten Moment als nicht sonderlich schwierig erscheint, ist um Hilfe zu bitten. Ich verstehe die Sprache nicht. Wie verhandle ich auf dem Markt? Ich habe vorher noch nie das Gas am Gaskocher ausgewechselt. Ich hatte noch nie Riesentausendfüßler in meiner Wohnung. Sind sie vielleicht giftig? Für all diese Fragen (und viele mehr), so banal sie sich auch anhören, brauchte ich Hilfe. Ich frage nicht gerne um Hilfe. Mir ist es häufig etwas unangenehm und vielleicht bin ich auch manchmal ein wenig zu stur um einzusehen, dass ich etwas alleine nicht kann. Aber alleine hätte ich meine Probleme nicht lösen können. Ich habe dadurch also gelernt, dass es vollkommen in Ordnung ist, sich Hilfe zu holen, wenn man sie braucht.

 

Und ich habe sehr viel über die tansanische / Dar es Salaamische Kultur gelernt. Vielleicht habe ich auch mehr beobachtet, als ich bis jetzt gelernt habe. Bei vielen Dingen weiß ich inzwischen das sie so sind, da ich es sehen kann. Bei vielen Dingen verstehe ich aber noch nicht, warum sie so sind, weil ich sie noch nicht richtig gelernt habe.

Aber was mir bis jetzt aufgefallen ist, ist dass die Kultur sich sehr von der deutschen unterscheidet. Manchmal finde ich das wahnsinnig angenehm, weil ich die deutsche Kultur in den Punkten nicht immer nachvollziehen kann, aber manche Dinge können mich auch schlichtweg nerven. Wie zum Beispiel wenn mir ständig Mzungu (Weiße) hinterhergeschrien wird. Ich habe sehr oft das Gefühl, nur auf meine Hautfarbe reduziert zu werden. Manchmal komme ich mir wie ein Zootier vor. Oftmals wollen mich Leute anfassen oder Bilder von mir machen. Des Öfteren erzählen mir wildfremde Menschen, dass sie mich lieben. Ich versuche es zu verstehen. Das Anstarren kann ich nachvollziehen, auch wenn ich es unangenehm finde. Die Menschen in Dar es Salaam sehen sehr selten weiße Menschen. Kleine Kinder sehen vielleicht auch ihren ersten weißen Menschen, wenn sie mich sehen. Sie sind es häufig also nicht gewohnt. Wäre die Situation umgekehrt, würde ich mich vielleicht auch zweimal nach dem Menschen umdrehen. Meine Mitfreiwillige und ich haben auch mit einheimischen Freunden darüber gesprochen, um es besser verstehen zu können. Trotzdem ist es an vielen Tagen nicht einfach damit umzugehen. Ich probiere das Hinterherrufen zu ignorieren und freundlich den Leuten Hallo zu sagen, wenn sie mich begrüßen. Aber ungefragtes Anfassen und Fotos machen kann ich nicht verstehen und nicht rechtfertigen, da es für mich persönlich zu viele Grenzen überschreitet.

Eine andere Angewohnheit, die hier weitverbreitet ist und an die ich mich erst gewöhnen musste, ist die Unpünktlichkeit. So oft kommen Leute erst zwei Stunden nach der verabredeten Zeit und es wird nicht mal als unhöflich angesehen. Ich verstehe inzwischen, dass die Menschen hier häufig ein anderes Zeitverständnis als die meisten Deutschen haben. In Deutschland wird viel Wert auf Pünktlichkeit gelegt. Man hetzt sich ab, wenn man mit etwas spät dran ist. Ich habe hier das Gefühl, dass die Dinge einfach so lange dauern, wie sie eben dauern. Wenn man später kommt, dann ist das eben so. Man hetzt sich nicht wegen jedem unnötigen Kleinkram. Diese Mentalität finde ich eigentlich sehr gut, da man sich für die wichtigen Dinge auch wirklich die Zeit nimmt, die man braucht. Ich lerne immer mehr, es mit der Pünktlichkeit nicht so ernst zu nehmen. Wenn ich noch etwas zu tun habe, das länger dauert als erwartet, dann treffe ich meine Freunde eben erst eine Stunde später am Strand (Wobei ich sagen muss, dass ich bei einer Verspätung die länger als eine Stunde dauert immer noch des Öfteren nicht aus meiner „deutschen Haut“ raus kann und es mich dann doch noch ein bisschen aufregt, aber daran arbeite ich).

Was ich absolut liebe, ist die Gastfreundschaft. Fast alle Tansanen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, haben immer ein freundliches „Karibu“ (Willkommen) auf den Lippen. Viele laden uns zum Essen ein, wollen uns zeigen wie man Nationalgerichte kocht und bringen uns Swahili bei. Bei sehr vielen Menschen kommt es mir nicht wie ein leeres Karibu vor und nicht wie „ich bin freundlich, weil man das halt so macht“. Häufig ist es wirklich echtes Interesse und große Gastfreundschaft und das finde ich toll und bin es so aus Deutschland eher weniger gewohnt.

Gerade im Waisenheim sind die Menschen unglaublich freundlich und haben uns Freiwillige herzlich aufgenommen.

Dafür war das Arbeiten dort gerade anfangs nicht leicht. Das hat vor allem damit zu tun, dass meine Mitfreiwillige und ich schlechte Arbeitszeiten haben, da wir früh morgens zwei Kinder zur Schule bringen müssen und dann über den Vormittag fast keine Kinder im Heim sind. In dieser kinderfreien Zeit war es gerade in den ersten Wochen schwer, sinnvolle Arbeit zu finden, auch weil uns keiner wirklich Arbeit zuteilt. Inzwischen dürfen wir aber bei Dingen wie Wäsche- und Geschirrwaschen, Essen vorbereiten und kleine Kinder waschen mitmachen. Nachmittags haben wir sowieso viel zu tun, da wir mit den kleinen Kindern Hausaufgaben machen, sie zum Mittagsschlaf bringen und mit den älteren Kindern spielen. Wir sollen auch bald die Buchhaltung übernehmen. Für die Zukunft würden wir gerne kleine Projekte wie Geburtstagsfeiern und Karaoke Nachmittage planen. Ich denke auch darüber nach, mich vielleicht um die Facebook Page des Heims zu kümmern. Die größte Herausforderung in meinem Projekt ist für mich, dass die Kinder geschlagen werden. Gerade am Anfang wusste ich überhaupt nicht wie ich damit umgehen sollte. Schlagen richtet sich gegen alle meine Wertvorstellung, für mich ist es einfach komplett falsch. Für viele Menschen hier aber nicht. Es ist normal, es gehört zum Alltag. Jetzt wo ich die Mitarbeiter besser kenne, sage ich auch, dass ich gegen schlagen bin. Mit einem Mitarbeiter konnte ich mich auch schnell darauf einigen, dass ein Kind statt Schlägen einfach nicht mehr spielen darf, bis es seine Haushaltsaufgaben erledigt hat.

Das einzige andere größere Problem ist häufiges rumsitzen auf der Arbeit, weil es keine Aufgaben gibt. Aber das wird langsam besser und nach den Ferien ändern sich wahrscheinlich auch unsere Arbeitszeiten, so dass wir mehr Zeit mit den Kindern verbringen können.

Mit dem Punkt Entwicklungspolitik habe ich mich bis jetzt noch nicht großartig auseinandergesetzt, da ich momentan noch sehr viel darüber nachdenken muss, wie ich mich in diesem doch noch sehr fremden Land zurechtfinde und wie ich hier reinpasse.

Momentan sehe ich Entwicklungspolitik sehr kritisch. Es fällt mir schwer zu sagen, dass ein Land unterentwickelt ist. Ist es vielleicht nicht einfach anders? Ich sehe, dass ein Land wie Tansania natürlich immense Probleme mit Armut hat und es natürlich gut ist, die Armut zu bekämpfen. Aber ich weiß nicht ob, eine Industrialisierung in diesem Land der richtige Schritt ist. Tansania ist doch kulturell komplett anders als vergleichsweise Deutschland oder die USA. Vielleicht passt es einfach nicht zum Lebensstil.

Aber ich wurde jetzt schon des Öfteren damit konfrontiert einige Stunden oder auch einige Tage ohne Wasser und ohne Strom zu leben. Für ein oder zwei Tage ohne Strom zu leben finde ich jetzt nicht ganz so schlimm. Aber ohne Wasser ist für mich die pure Hölle. Ich kann nicht duschen gehen, die Toilettenspülung geht nicht, ich kann weder Klamotten noch Geschirr waschen und kochen ohne Wasser ist auch eher schwierig. Bei Themen wie Wasserversorgung ist es extrem wichtig, dass sich was ändert. Ich habe ja eine meistens stabile Wasserversorgung und leide schon, wenn es da mal hapert. Andere Menschen in Tansania haben dagegen ja einen viel begrenzteren Zugang zu Wasser als ich. Daher finde ich Entwicklungshilfe nicht komplett falsch, da sie ja auch versucht, Dinge wie die schlechte Wasserversorgung zu beheben.

 

Für den Rest meines Jahres hier nehme ich mir vor, mehr von der Kultur zu verstehen, auch aus Dar es Salaam herauszukommen um etwas anderes als das Stadtleben kennenzulernen. Auch möchte ich natürlich mehr einheimische Freunde finden und mich im Projekt noch mehr einbringen.

 

 

 

Das war’s mit meinem Bericht. Ich hoffe er hat euch einen guten Einblick in mein Leben hier in Dar es Salaam gegeben.

 

Bis dann

Eure Tine