2. Quartalsbericht

Hallo Leute,

ein halbes Jahr ist um. Das heißt für mich als weltwärts Freiwillige auch, dass der nächste Quartalsbericht geschrieben werden muss. Den möchte ich gerne mit euch Teilen:


Ein halbes Jahr in Dar es Salaam ist vorbei. Das letzte halbe Jahr bestand aus vielen Höhen und Tiefen und hat mich definitiv verändert. Die Arbeit in der Einsatzstelle, Einkaufen, das Leben bei uns im Dorf, alles sind Faktoren, die mich auf die ein oder andere Weise beeinflusst haben.

Generell habe ich viel über die Arbeit mit Kindern dazugelernt. Auch in Deutschland habe ich schon häufig mit Kindern gearbeitet, aber ich war darin nicht so sicher wie jetzt. Auch war die Arbeit mit den Kindern im Heim, gerade am Anfang, viel schwieriger als in Deutschland. Sie sind viel gewalttätiger, als ich es gewohnt war. Zudem haben sie mich anfangs auch nicht als Respektsperson wahrgenommen, da ich sie, im Gegensatz zu den meisten anderen Erwachsenen, nicht schlage. Aber inzwischen nehmen sie mich ernst und hören (wenn auch öfters erst nach längeren Diskussionen) auf mich.

Auch habe ich durch die Kinder gelernt geduldiger zu sein. Geduld war nie gerade meine Stärke. Aber momentan versuche ich einem geistig behinderten Mädchen Schreiben beizubringen. Da ihre Lernfortschritte langsamer als bei manch anderen Kindern sind, lerne ich von Tag zu Tag geduldiger zu sein.

Durch die Arbeit mit diesem Mädchen und auch durch das Hausaufgabenmachen mit anderen Kindern verbessert sich auch meine Fähigkeit, anderen etwas beizubringen.

Durch die Arbeit in der Einsatzstelle bin ich auch viel flexibler geworden. Watoto Wetu beschäftigt praktisch nur ehrenamtliche Mitarbeiter, weshalb keinem so richtig die Leitung obliegt, nie einer im Besitz sämtlicher Informationen bezüglich Kindern und Tagesabläufen ist uns dadurch viel Chaos entsteht. Somit eignet man sich automatisch eine gewisse Flexibilität an, damit man seine Tätigkeiten irgendwie an den „Tagesablauf“ anpassen kann.

Natürlich bin ich durch das alleine Leben bzw. WG Leben erwachsener und selbstständiger geworden und übernehme auch Verantwortung und Aufgaben für andere.

Eine definitiv nicht zu unterschätzende Veränderung ist auch mein Umgang mit Insekten bzw. Ungeziefer. Zwar versprühe ich bei einer Sichtung eines Tieres mit mehr als vier Beinen immer noch keine Euphorie, aber ich habe doch durch Kakerlaken, Hundert- und Tausendfüßler, Termitenangriffe und nicht zuletzt Spinnen gelernt, dass diese Tiere nicht der Weltuntergang höchstpersönlich sind.

Was mir momentan sehr im Entwicklungspolitischen Kontext sehr auffällt, ist der Ausbau der Straßen in Dar es Salaam. Dies wird gemacht, um das wahnsinnig hohe Verkehrsaufkommen und die damit verbundenen Staus zu minimieren und schlussendlich die Stadt weiterzubringen. So weit, so gut. Allerdings wird für diese Erweiterung alles Umliegende platt gemacht. Jegliche Straßenmärkte und auch viele Häuser werden dem Erdboden gleichgemacht. Auch das alte Heim von Watoto Wetu wurde zerstört. So viele Menschen verlieren aufgrund dieser Bauarbeiten ihre Wohnungen, ihre Arbeit, ihre Lebensgrundlage. Ist es dann wirklich Fortschritt, wenn so viele Menschen leiden müssen?

Ein weiterer Punkt in der Politik Tansanias der mich besorgt, ist eine geplante Gesetzesänderung, die wahrscheinlich dazu führen wird, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden kann. Zum Beispiel kann dann die Registrierungsbehörde uneingeschränkt Parteien anerkennen oder löschen und sie darf politische Informationen für Bürger zensieren. Es könnte dadurch nicht nur zu Tumulten innerhalb des Landes kommen, sondern auch zur Gefährdung internationaler Beziehungen. Beispielsweise ein Land wie Deutschland, das maßgeblich an der Unterstützung Tansanias beteiligt ist, könnte sich aufgrund solch einer politischen Entwicklung von Tansania distanzieren. Tansania könnte schlussendlich also auch finanzielle Verluste erleiden.

Des Weiteren beschäftigt mich das Schulsystem. Ab der achten Klasse wird hier der Unterricht ausschließlich auf Englisch abgehalten. Das Problem dabei ist, dass die Lehrweise des Frontalunterrichts sehr verbreitet ist, und keiner merkt, dass die Schüler nicht hinterherkommen. Fast keines der Kinder bei uns im Heim kann Englisch sprechen, manche davon gehen sogar nächstes Jahr in die achte Klasse. Sie werden massive Probleme haben dann im Unterricht mitzukommen, und im Endeffekt wird ihre Ausbildung darunter leiden. Nach dem, was ich bis jetzt beobachtet habe, müssten meiner Meinung nach Lehrer besser ausgebildet und der Frontalunterricht abgeschafft werden. Vielleicht wäre es auch sinnvoll, den ausschließlich englischsprachigen Unterricht freiwillig zu machen und für die restlichen Schüler den Unterricht auf Swahili anzubieten. Ich denke, dass das Schulsystem so auf die Dauer keinen Bestand hat und irgendwann auf die eine oder andere Weise abgeändert werden muss.

In der Einsatzstelle läuft es momentan nicht wirklich gut. Nach den Weihnachtsferien wurden fünf Kinder auf ein Internat gebracht. Somit sind jetzt nur noch acht Kinder im Heim, die auch oft erst nach 18 Uhr von der Schule nach Hause kommen. Folglich haben wir kaum etwas zu tun. Ein weiteres Problem ist die Kommunikation mit der Leitung. Uns werden generell keine Aufgaben zugeteilt und für uns wichtige Informationen (wie zum Beispiel, dass fünf Kinder auf ein Internat gehen werden) werden uns nicht mitgeteilt. Solche Sachen müssen wir dann im Nachhinein erfragen. Auch fehlen der Leitung selbst einige Informationen über die Kinder, zum Beispiel um wie viel Uhr sie in die Schule gehen und wann sie wieder heimkommen. Meiner Meinung nach ist die ausschließliche Beschäftigung von Ehrenamtlichen, gerade in der Leitung, sehr hinderlich, um Struktur in die Heimarbeit zu bekommen.

Dadurch, dass uns keine Aufgaben zugeteilt werden, suchen wir uns selbst Aufgaben, die uns Spaß machen. Wir helfen bei den Hausaufgaben, waschen Kinder, Geschirr und Klamotten, spielen Brett- und Kartenspiele  und seit neustem Tanzen wir fast jeden Abend 45 Minuten mit den Kindern. Das hört sich jetzt vielleicht nach gar nicht so wenigen Tätigkeiten an, aber den Großteil der Zeit sitzen wir einfach nur rum und haben nichts zu tun, was mich extrem frustriert und bei mir aktuell ein persönliches Tief auslöst. Manchmal weiß ich gar nicht, wieso ich überhaupt noch hier bin.

Auch wenn ich die Kinder und die Mitarbeiter bei Watoto Wetu sehr mag, halte ich es für fragwürdig, ob es in dieser Situation noch eine geeignete Einsatzstelle für Freiwillige ist, da wir momentan ziemlich überflüssig sind.

Der einzige derzeitige Lichtblick ist, dass diesen Monat zehn neue Kinder von der Regierung kommen sollen. Da uns so etwas aber vor Monaten schon einmal gesagt wurde, bin ich mir nicht sicher, ob diese Kinder jemals zu uns kommen werden.

Der tansanischen Kultur versuche ich mit Interesse und Respekt zu begegnen.

Ich schaue gerne beim Kochen zu und erfrage Dinge über Themen, die mich interessieren, wie zum Beispiel Naturmedizin oder auch Dämonenaustreibungen. Natürlich sind auch kleine Dinge, wie meinen Körper bedeckt zu halten oder mit der Hand zu essen für mich selbstverständlich, und ich habe gelernt, dass ich ältere Menschen mit „Shikamoo“ (das bedeutet so viel wie „ich respektiere dich“) begrüßen muss.

Was mir immer wieder auffällt, ist wie wichtig es ist, Swahili zu sprechen um die Kultur besser zu verstehen. Ich kann die Sprache zwar noch nicht besonders gut, aber ich kann mich gerade mit Kindern schon ziemlich gut unterhalten und zum Einkaufen und Verhandeln reicht es auch schon. Aber um mich noch besser anpassen zu können, ist es mir wichtig, die Sprache noch besser zu lernen.

Ein kultureller Unterschied, mit dem ich große Schwierigkeiten habe, ist die Beziehung von Erwachsenen und Kindern. Die meisten Erwachsenen schlagen Kinder und behandeln sie auch oft ein wenig wie Diener. Natürlich ist dieses „Dienersein“ ein Ausdruck des Respekts gegenüber des Alters, was hier sehr wichtig ist. Trotzdem ist es für mich sehr befremdlich, wenn die Kinder den Erwachsenen das Essen anrichten, ihnen die Hände waschen und ständig irgendwelche Dinge bringen sollen. Für mich ist diese Respekt vor dem Alter Sache oft einfach zu viel. Selbstverständlich sollte man als Kind normalerweise auf das hören, was Erwachsene sagen, aber ich finde, ein Kind sollte nicht Dienstmädchen spielen müssen.

Für die Zukunft nehme ich mir vor allem vor, wieder mehr Motivation für die Arbeit in der Einsatzstelle zu haben und somit neue Projekte zu starten. Zum Beispiel würde ich gerne die Schlafzimmer der Kinder streichen, damit diese nicht mehr so trist aussehen.

Ich wünsche mir auch, mehr tansanische Kontakte zu knüpfen, um noch mehr über die Kultur zu erfahren.

Zu guter Letzt nehme ich mir vor, noch mehr Swahili zu lernen.

Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem Bericht nochmal einen genaueren Einblick in mein Jahr in Tansania geben.

Bis dann

Eure Tine